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Longevity Escape Velocity: Traum oder bald Realität?

Longevity Escape Velocity: Traum oder bald Realität?

Longevity Escape Velocity - ein faszinierendes Konzept, das Altern vielleicht eines Tages umkehrbar machen könnte. Erfahre hier, wo die Forschung heute steht und welche Routinen schon jetzt wirklich Healthspan-Vorteile generieren können.

In einer aktuellen Podcast Folge von Dr. Matt Kaeberlein (YouTube Link zur Episode) kamen drei der bekanntesten Stimmen der Alternsforschung (Gerontologie) zusammen.

Wer diskutiert über die Zukunft des Alterns

Aubrey de Grey ist Biogerontologe und Gründer der LEV Foundation, international bekannt, weil er das Konzept der Longevity Escape Velocity geprägt hat und seit über zwanzig Jahren die Vision vertritt, dass Altern ein technisches Problem ist, das sich lösen lässt. Brian Kennedy ist Professor für Biologie und Medizin in Singapur und war Leiter des Buck Institute for Research on Aging, einer der führenden Forschungsinstitutionen weltweit für die Biologie des Alterns. Matt Kaeberlein ist Professor für Pathologie an der University of Washington in Seattle, wo er seit 2006 forscht und lehrt. Er promovierte am MIT, veröffentlichte mehr als 150 Arbeiten in führenden Fachzeitschriften wie Cell, Science und Nature und zählt zu den international anerkannten Stimmen der Gerontologie. Neben seiner Professur gründete er das Healthy Aging and Longevity Research Institute sowie das Dog Aging Project, das weltweit größte Forschungsprojekt zum Altern von Hunden. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Breakthroughs in Gerontology Award der Glenn Foundation, und gilt als einflussreicher Mentor der nächsten Generation. Kennedy und Kaeberlein verbindet zudem eine gemeinsame Vergangenheit im Labor von Leonard Guarente am MIT, wo die mögliche Rolle der Sirtuine für das Altern entdeckt wurde. Später gingen ihre Wege auseinander. Während Kennedy das Buck Institute leitete, profilierte sich Kaeberlein als führender Rapamycin Forscher. In jüngerer Zeit sorgte er für Aufsehen, als er aus der Academy for Health and Lifespan Research austrat. Grund war die Vermarktung von Hundesupplementen durch den Präsidenten der Academy, David Sinclair, den Kaeberlein öffentlich als „snake oil salesman“ kritisierte. Für ihn war diese Grenzüberschreitung ein Beispiel dafür, wie Marketing und überzogene Versprechen die Glaubwürdigkeit der Gerontologie gefährden.

Ein faszinierendes Konzept

Longevity Escape Velocity klingt wie ein Begriff aus der Science Fiction. Geprägt hat ihn Aubrey de Grey. Gemeint ist ein Zeitpunkt, an dem medizinische Fortschritte schnell genug voranschreiten, um den Alterungsprozess systematisch zu verlangsamen oder sogar zu reparieren. In dieser Logik würde jeder neue Durchbruch genug zusätzliche gesunde Lebensjahre schenken, damit man rechtzeitig von der nächsten Innovation profitiert. So könnte eine Art Kettenreaktion entstehen, die uns dauerhaft biologisch jung hält.

Die aktuelle Diskussion

Beim Radfest 2025 diskutierten die drei Forscher über den Status quo. De Grey zeigt sich weiterhin optimistisch. Er sieht eine fünfzigprozentige Chance, dass wir in den 2030er Jahren bereits in diese neue Ära eintreten könnten. Sein Hauptargument: In den letzten zehn Jahren sind deutlich mehr Gelder in die Forschung geflossen, wodurch neue Technologien von Zelltherapien bis hin zu Geninterventionen an Fahrt aufgenommen haben.

Kennedy und Kaeberlein sind da deutlich zurückhaltender. Sie weisen darauf hin, dass Tierversuche bislang nicht über die bekannten Effekte von Kalorienrestriktion oder Rapamycin hinausgekommen sind. Kalorienrestriktion hat sich zudem ausschließlich im Tiermodell als lebensverlängernd erwiesen und bleibt für den Menschen experimentell. Eine ausführliche Einordnung dazu findest du in unserem Artikel „Longevity: CR ist präklinisch am wirksamsten, mit Vorbehalten“. Das Stapeln von Interventionen, also die Kombination mehrerer Ansätze, hat zudem oft keine zusätzlichen Effekte gebracht oder sich sogar gegenseitig aufgehoben.

Reparieren statt nur bremsen

  • Schadensreparatur nach de Grey: Maßnahmen, die altersbedingte Schäden direkt beseitigen sollen. Dazu zählen Stammzelltherapien, Gentherapie oder das Verdünnen des Blutplasmas.
  • Verlangsamung biologischer Wege nach Kennedy und Kaeberlein: Fokussiert auf Mechanismen wie Rapamycin. Auch hier ist die Datenlage beim Menschen noch unklar. Rapamycin wird in klinischen Studien geprüft, ist aber nicht für die breite Anwendung geeignet.

Realität in der Klinik: Vorsicht ist geboten

Neben der Forschung gibt es bereits zahlreiche klinische Angebote von Gentherapietourismus über Exosomeninfusionen bis hin zu Plasmaaustausch. Die Experten waren sich einig: Vieles davon ist unsicher und kaum wissenschaftlich belegt. Für Laien ist es schwer zu unterscheiden, was seriöse Forschung und was fragwürdiges Geschäft ist. Die klare Botschaft: Skepsis ist angebracht, solange unabhängige und robuste Daten fehlen.

Vergleich mit evidenzbasierten Routinen

Im Gegensatz dazu gibt es eine solide Basis an Humanstudien, die eindeutig zeigt, was heute wirkt. Die wichtigsten Bausteine:

  • Regelmäßige Bewegung senkt das Risiko für Herz Kreislauf Erkrankungen, stärkt Muskeln und Knochen und verlängert die gesunde Lebensspanne.
  • Ausgewogene Ernährung mit wenig verarbeiteten Lebensmitteln, viel Obst, Gemüse, Vollkorn und gesunden Fetten. Die Mittelmeerdiät ist wissenschaftlich gut untersucht.
  • Gesunder Schlaf mit sieben bis neun Stunden pro Nacht, verbunden mit besserer Regeneration und geringerer Krankheitslast.
  • Stressmanagement und soziale Kontakte unterstützen die psychische Gesundheit, die eng mit körperlicher Langlebigkeit verknüpft ist.
  • Medizinische Prävention durch Vorsorgeuntersuchungen und Behandlung von Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Diabetes.

Überblick: Visionäre Ansätze vs. gesicherte Routinen


Experimentelle Ansätze


Evidenzbasierte Routinen (Menschen)

Kalorienrestriktion nur präklinisch im Tiermodell Regelmäßige Bewegung mit kardiovaskulärem Schutz und längerer Gesundheitsspanne
Rapamycin in klinischer Prüfung ohne Zulassung Ausgewogene Ernährung zum Beispiel Mittelmeerdiät
Stammzell und Gentherapien ohne belastbare Langzeitdaten beim Menschen Gesunder Schlaf mit sieben bis neun Stunden und geringerer Krankheitslast
Plasmaaustausch und Exosomen in frühen Studien mit unklarer Wirkung Stressmanagement und stabile soziale Bindungen
Kombinationstherapien zur Schadensreparatur bisher nur im Tiermodell Vorsorgeuntersuchungen und Therapie von Risikofaktoren


Einordnung des „Longevity Escape Velocity“-Konzepts

Longevity Escape Velocity ist ein faszinierendes Zukunftsszenario, das aufzeigt, was möglich sein könnte, wenn Wissenschaft und Regulierung in großem Maßstab zusammenarbeiten. Die Realität heute sieht jedoch so aus. Wir stehen noch am Anfang. Mäuse leben länger durch bestimmte Interventionen, aber der Sprung auf den Menschen ist bisher nicht gelungen. Geld und Forschungsgeschwindigkeit nehmen zu, doch die großen Beweise fehlen. Die Gerontologie bleibt hier vorsichtig und mahnt zur Geduld.

Empfehlung für heute

Für alle, die an einem gesunden, langen Leben interessiert sind, lautet die Schlussfolgerung. Warten wir gespannt auf die wissenschaftlichen Durchbrüche der nächsten Jahre und bauen wir in der Zwischenzeit auf das, was schon heute sicher wirkt. Evidenzbasierte Routinen sind kein Ersatz, sondern die stabile Basis, die unser biologisches Fundament schützt, während die Forschung weiterzieht.

Key Takeaway

Longevity Escape Velocity könnte in den kommenden Jahrzehnten Realität werden, ist aber noch nicht erreicht. Der klügste Weg für den Moment ist, die nachgewiesenen Taktiken wie Bewegung, Ernährung, Schlaf und Prävention konsequent in den Alltag zu integrieren. Sie sind die Brücke, die uns gesund genug hält, um vielleicht eines Tages von den großen Sprüngen der Wissenschaft zu profitieren.

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