Longevity: CR ist präklinisch am wirksamsten, mit Vorbehalten

Das Thema Longevity ist derzeit in aller Munde. Derzeit scheint der Begriff sich auf dem Höhepunkt des Gartner-Hype-Zyklus zu befinden, wo die Begeisterung zwar sehr groß ist, auch wenn leider noch keine fundierten Erkenntnisse vorliegen.
Versprechen von Anti-Aging-Präparaten, Wundermolekülen und bahnbrechenden Therapien füllen Schlagzeilen und Social-Media-Feeds. Vieles von dem, was heute zum Teil sehr aggressiv als wissenschaftlich vermarktet wird, beruht jedoch auf Spekulationen und entbehrt jeglicher klinischer, teilweise sogar jeglicher präklinischer Evidenz.
Aus diesem Grund ließ ein Vortrag von Matt Kaeberlein, einem der weltweit führenden Longevity-Experten, kürzlich auf der Global Conference on Gerophysics in Singapur aufhorchen. Er lieferte etwas, das in diesem von Lärm geprägten Umfeld selten ist: eine realistische Einschätzung. In seinem Vortrag erinnerte er das Publikum an etwas überraschend Einfaches.
Goldstandard seit 50 Jahren: Kalorienrestriktion
Inmitten einer Flut von marketinggetriebenem Optimismus brachte Kaeberlein die Diskussion zurück zu den Fakten. Mit jahrzehntelanger Forschung im Rücken lieferte er eine ehrliche und datenbasierte Botschaft: In über 50 Jahren präklinischer Forschung hat keine Intervention die Kalorienrestriktion bei der Verlängerung der Lebensdauer von Säugetieren übertroffen.
„Aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Kalorienrestriktion der Goldstandard für nicht-genetische Methoden zur Verlängerung der Lebensdauer von Säugetieren ist."
Matt Kaeberlein
Das bedeutet, dass trotz aller Begeisterung für Medikamente und Supplements die präklinischen Studien immer noch die besten Ergebnisse mit einer einfachen Kalorienreduktion erzielen.
Kalorienrestriktion, oder CR, bedeutet, deutlich weniger Kalorien zu sich zu nehmen, ohne dabei unterernährt zu sein. Eine wegweisende Studie aus den 1980er Jahren zeigte, dass Mäuse mit einer kalorienreduzierten Ernährung bis zu 60 Monate lebten, also deutlich länger als Mäuse mit normaler Ernährung. Diese Studie ist bis heute der Maßstab für alle anderen Maßnahmen.
Warum nicht einmal alle Mäuse gleich sind
Die Studie, auf die Matt Kaeberlein Bezug nahm, wurde ursprünglich von Weindruch und Walford in den 1980er Jahren durchgeführt und verwendete C57BL/6-Mäuse, auch bekannt als Black 6. Dieser Stamm reagiert außergewöhnlich gut auf Kalorienrestriktion, was die beeindruckenden Ergebnisse teilweise erklärt.
Wendet man dieselbe Maßnahme jedoch auf andere Stämme an, kann das Ergebnis völlig anders ausfallen. Etwa ein Drittel der Mausstämme lebt mit CR länger, ein Drittel zeigt keine Veränderung der Lebensdauer und ein Drittel lebt sogar kürzer. Selbst unter Mäusen ist die Longevity nicht konsistent. Dies macht es noch schwieriger, präklinische Erkenntnisse in aussagekräftige Ergebnisse für den Menschen zu übertragen.
Heutige Longevity-Interventionen im Vergleich
Kaeberlein verglich die Ergebnisse der mittlerweile 50 Jahre alten Kalorienrestriktionsstudie mit präklinischen Studienergebnissen wie z.B:
- Rapamycin (Immunsuppressivum und mTOR-Inhibitor)
- Metformin (Antidiabetikum und AMPK-Aktivator)
- Senolytika (Wirkstoffe zur Eliminierung seneszenter Zellen)
- Intermittierendes Fasten (periodisch eingeschränkte Nahrungsaufnahme zur Stoffwechselmodulation)
- NAD+-Booster (NR Nicotinamid-Ribosid)
- Epigenetische Reprogrammierung (gezielte Rücksetzung zellulärer Alterungsmarker)
Keine davon verlängerte die Lebensdauer in präklinischen Studien mehr als die Kalorienrestriktion. Einige zeigten sogar nur minimale Verbesserungen oder die Ergebnisse lagen auf dem Niveau der Kontrollgruppe. D.h. einige verbesserten die Lebensdauer im Vergleich zu unbehandelten Tieren überhaupt nicht.
„Warum können wir also nicht mehr erreichen als mit Kalorienrestriktion? Eine Möglichkeit, die heute angesprochen wurde, ist, dass die Kalorienrestriktion vielleicht das Beste ist, was wir bei Mäusen erreichen können. Vielleicht können wir diese Grenze nicht überschreiten."
Matt Kaeberlein
Dies ist eine sehr wichtige Erkenntnis, da viele dieser Interventionen heute bereits an Verbraucher verkauft oder als bedeutende Fortschritte beworben werden, obwohl relevante Ergebnisse noch nicht einmal in präklinischen Studien erzielt werden konnten. In Labortests waren sie jedoch nicht wirksamer als die seit Jahrzehnten bekannte Methode der Kalorienrestriktion. Wie ist das möglich?
Präklinische vs. klinische Studien
Kaeberlein betonte auch etwas, das oft übersehen wird. Das meiste, was wir über diese Interventionen wissen, stammt aus der präklinischen Forschung, also aus Tier- und Zellversuchen.
Zu diesem Thema findest du hier einen Text:
→ Studienbasiert! Für Mäuse oder für Menschen?
Warum die Longevity-Forschung einen Reset braucht
Kaeberlein kritisierte die enge Ausrichtung der aktuellen Forschung. Er argumentierte, dass sich die Wissenschaft zu sehr an bestehenden Theorien und irreführenden Konzepten wie den "Hallmarks of Aging" orientiere. Diese lenkten zwar das Denken, schränkten aber auch Innovationen ein.
Zu diesem Thema findest du hier einen Text:
→ Die Biologie des Alterns: Was wir wissen und was nicht
Seine Lösung ist eine Rückkehr zur groß angelegten Entdeckungsforschung. Sein Projekt, die Million Molecule Challenge, zielt darauf ab, mehr als eine Million Verbindungen auf ihre Auswirkungen auf die Lebensspanne von Würmern zu untersuchen und die Daten offen zugänglich zu machen.
Was sollen wir also Glauben?
Kaeberlein sagte nicht, dass Menschen extreme Diäten machen sollten. Tatsächlich wird die Kalorienrestriktion beim Menschen noch untersucht und ist möglicherweise nicht für jeden geeignet. Aber sein Argument ist einfach und wirkungsvoll.
Wir sollten den Beweisen nicht vorgreifen.
Bis etwas in gut kontrollierten Studien besser wirkt als Kalorienrestriktion, sollten wir großen Behauptungen immer sehr skeptisch gegenüberstehen. Und wir sollten uns an das halten, was die Daten – und nicht das Marketing – tatsächlich zeigen. In einer Zeit, in der Wissenschaft als Lifestyle verkauft wird, war dieser Vortrag eine dringend notwendige Erinnerung daran, dass echte Fortschritte langsam und vorsichtig sind und auf dem basieren, was funktioniert, und nicht auf dem, was gut klingt.
Manchmal sind die größten Durchbrüche nicht die neuesten, sondern diejenigen, die wir selbst nach 50 Jahren noch nicht vollständig verstehen.